„Es gibt einfach keine typischen Bauhaus-Farben.“ Interview mit Philipp Thonet zu Bauhaus & Stuhl-Verlosung

von Nicole

2019 findet das 100-jährige Gründungsjubiläum von Bauhaus statt. Dies nahmen wir zum Anlass, nach Dessau zu reisen und mehr über die Bedeutung von Bauhaus zu erfahren. Und wer könnte uns das besser beantworten als eines der Familienmitglieder des bekanntesten deutschen Traditionsmöbelherstellers, dessen eigene Erfolgsgeschichte eng mit den modernen Designentwicklungen der 1920er-Jahre zusammenhängt?

Die Journalistin Jessica Jungbauer war für SoLebIch unterwegs und traf den Ururenkel des Thonet-Gründers Philipp Thonet im Bauhaus-Gebäude in Dessau. Was den sogenannten „Bauhaus-Stil“ ausmacht, welche Farben damals verwendet wurden und wie Thonet die Verbindung zum Bauhaus auch heute noch lebendig hält, erfahrt ihr im folgenden Interview.

Ich freue mich, dass Thonet Teil unseres SoLebIch-Apartments im Januar 2019 sein wird! Dort werdet ihr die Stühle live erleben können.

Philipp Thonet (Foto: Jessica Jungbauer)

Schlicht, funktionell, schwarz-weiß: So wird die Gestaltung, die am Bauhaus entstanden ist, oftmals wahrgenommen. Wenn man Philipp Thonet mit dieser Beschreibung konfrontiert, lacht er laut auf, schlägt die Beine übereinander und verkreuzt die Hände über dem Knie – ganz so, als wolle er es sich nun erst einmal gemütlich machen, bevor er auf die wegweisende Architektur- und Designgeschichte von Bauhaus zurückblickt.

Thonet-Stahlrohrklassiker © Thonet

Bereits 1819 von Michael Thonet gegründet, ist das Familienunternehmen aus dem hessischen Frankenberg heute immer noch für seine Bugholzstühle und Stahlrohrmöbel aus der Bauhaus-Zeit bekannt.

Bauhaus Dessau © Tadashi Okochi, Pen Magazine, Stiftung Bauhaus Dessau

Herr Thonet, was genau macht den „Bauhaus-Stil“ aus?
Den Begriff „Bauhaus-Stil“ gibt es so ja eigentlich nicht – das ist ein umgangssprachlicher Begriff, den die Menschen benutzen, wenn sie an besonders reduzierte, schlichte Gestaltung denken, wie sie am Bauhaus ja auch entstand. Ich glaube sowieso, dass die Bauhaus-Schule eine typisch deutsche Erfindung war, die mit unserer Kultur zu tun hat. So ticken wir Deutschen nun mal: klar und strukturiert. Es ist vielleicht seltsam, das so zu sagen, aber andere Nationen denken einfach ganz anders. Nicht umsonst verwenden zum Beispiel die Skandinavier viel mehr warmes Holz.

Beistelltisch Thonet B 9 am Bauhaus Berlin © Bauhaus Archiv Berlin

Beim Thema Bauhaus denkt man oft an Entwürfe in Schwarz-Weiß. Verwenden Sie bei Ihren Klassikern von Bauhaus-Architekten auch Farben?
Ja, bei Thonet haben wir in den letzten Jahren durchaus Farbe bei den Stahlrohrklassikern eingesetzt und dabei versucht, uns an den Farben zu orientieren, die Thonet schon in der Anfangsproduktion in den 1930er-Jahren eingesetzt hat. Denn bei den ersten Stahlrohrmöbeln wurden die Gestelle lackiert und die Palette der Farben, die eingesetzt wurden, war vielfältig. Man assoziiert das Bauhaus meist mit Grundfarben wie Blau und Rot, aber in der Realität war das gar nicht so. Da gab es nicht nur Rot und Blau, Schwarz und Weiß. Und so bietet auch Thonet bei den Klassikern der Bauhaus-Architekten ein weites Farbspektrum an. Man muss generell aber auch noch einmal sagen: Was am Bauhaus entstanden ist, hatte einen großen Einfluss auf die Design- und Architekturgeschichte. Architekten auf der ganzen Welt blicken bis heute auf das Bauhaus und orientieren sich daran, was hier gelehrt und diskutiert wurde.

„Man assoziiert das Bauhaus meist mit Grundfarben wie Blau und Rot, aber in der Realität war das gar nicht so. Da gab es nicht nur Rot und Blau, Schwarz und Weiß.“

Studio-Gebäude, Bauhaus Dessau, Atelierzimmer © Stiftung Bauhaus Dessau (Foto: Yvonne Tenschert)

Neue Meisterhäuser Dessau (Haus Gropius und Meisterhaus Moholy-Nagy), Bruno Fioretti Marquez Architekten, Berlin, 2014 © Stiftung Bauhaus Dessau (Foto: Yvonne Tenschert)

Wie kam es damals zur Zusammenarbeit mit Thonet?
Schon bei den frühen Bugholzmöbeln des 19. Jahrhunderts spielte bei Thonet das Thema Reduktion eine Rolle. Der berühmte Kaffeehausstuhl Nr. 14 bestand insgesamt nur aus sechs Teilen, zwei Muttern und zehn Schrauben. Thonet-Möbel hatten Bögen, aber keine Schnörkel. Um die Jahrhundertwende, als die Gestaltung opulenter wurde, hat Thonet schon mit Architekten der Wiener Secession zusammengearbeitet – mit Otto Wagner, Josef Hoffmann und Adolf Loos, und die haben alle sehr klar gedacht und gestaltet. Zu den Stahlrohrmöbeln kam Thonet aber eher als Produzent, der das Potenzial erkannt hat, das in diesen neuartigen Möbelexperimenten eines Marcel Breuer, Mart Stam und Ludwig Mies van der Rohe steckte. Das Werk im hessischen Frankenberg gab es damals schon, es war 1889 gegründet worden – ansonsten war zu der Zeit der Firmensitz in Wien. Also gab es auch eine gewisse geografische Nähe zum Bauhaus in Dessau. Thonet war bereit für das Experiment.

„Thonet hat damals schon mit Architekten aus der Wiener Secession zusammengearbeitet – mit Otto Wagner, Josef Hoffmann und Adolf Loos.“

Bauhaus und Stahlrohr, das gehört für uns heute untrennbar zusammen. Woher kam die Idee, Stahlrohr für die Stühle zu verwenden?
Nach dem Ersten Weltkrieg gab es einen riesigen Bedarf an Wohnungen. Die Architekten waren auf der Suche nach neuen Materialien für die Architektur der Neuen Sachlichkeit. Vielen Menschen in Deutschland ging es damals nicht gut. Beim Wohnungsbau ging es auf einmal um Funktionalität und Effizienz, um neutrale, transparente und leicht verständliche Räume, ein Abschied vom „Gutbürgerlichen“. Für diese Art von Architektur brauchte es die passenden Möbel. Wie so oft war die Architektur hier Vorreiter – und die Gestaltung der Möbel folgte.

Und dann gibt es da die Geschichte mit dem Fahrradlenker ….
Es gibt ja viele Geschichten, aber der Legende nach hat sich Breuer von seinem Fahrradlenker inspirieren lassen, auf den er beim Fahren geschaut hat. Er soll sich gefragt haben: „Warum probiere ich das nicht einfach mal aus?“ Und Adler, damals ein großer Fahrradhersteller, hat dann wohl abgewunken, weil er eben ein Fahrrad- und kein Möbelhersteller war. Die Bauhaus-Architekten Mart Stam, Ludwig Mies van der Rohe und Marcel Breuer wiederum kannten Thonet natürlich alle und schätzten die Produkte, weil diese reduziert und auf das Wesentliche konzentriert waren. So setzten sie Thonet-Produkte gerne in ihren Projekten ein. Über diesen Weg kam schließlich Thonet ins Boot.

Thonet-Patentzeichnungen, Mart Stam, 1929 © Thonet

Thonet S 43, Deutsche Nationalbibliothek Leipzig © Achim Hatzius

Sie haben einmal erwähnt, dass in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig seit 1933 nur zwei Stühle kaputtgegangen sind.
Das ist eine ganz irre Geschichte. Der naturwissenschaftliche Lesesaal des großen Gebäudekomplexes aus der Jahrhundertwende wurde ausschließlich mit den Freischwingern von Mart Stam ausgestattet. Nach der Wende 1989 ist Thonet dann angefragt worden, weitere Stühle zu liefern. Gleichzeitig wurde uns von den Hausmeistern gesagt, dass in all den Jahrzehnten nur zwei Stühle kaputtgegangen waren. Das hat uns aber auch nicht groß gewundert, denn der Freischwinger S 43 besteht aus einem durchgehenden Stahlrohrgestell mit zwei Sperrholzbrettern drauf. Er ist supergemütlich und kaputtgehen kann da einfach nichts ...

Ist Ihnen eine solche Langlebigkeit heute auch noch wichtig?
Ja, denn das ist die große Verantwortung von Produzenten und Designern, langlebige und damit nachhaltige Produkte zu entwerfen. Diese Haltung fängt beim Designprozess schon an, nicht erst in der Produktion. Wir stehen heute an einem Wendepunkt: Man kann keine Produkte mehr machen, die man wegwirft, weil man sie nach drei Jahren nicht mehr sehen kann. Das war im Übrigen auch nie unsere Idee. Thonets Ziel war immer die Langlebigkeit, denn es sind ja Werte, die ich mit einem Möbelstück kaufe. Das ist ein gewisser Konservatismus. Viele unserer Stühle sind Klassiker, die man vererben kann, die über die Zeiten hinweg bestehen. Das ist ein spannendes Thema, denn wir leben ja in einer Konsumwelt, die allerdings heute überall an ihre Grenzen kommt.

„Thonets Ziel war immer die Langlebigkeit, denn es sind ja Werte, die ich mit einem Möbelstück kaufe.“

Mies van der Rohe Haus, Berlin (Foto: Jessica Jungbauer)

„Wir möchten unser Erbe pflegen und gleichzeitig auch neue Produkte verkaufen. Beides gehört zu unserer Identität.“

Mies van der Rohe Haus, Berlin (Jessica Jungbauer)

Welche Rolle spielt Thonet heute, wenn es um die Bewahrung des Bauhaus-Erbes geht?
Das Thema ist für uns ganz wichtig. Wir werden das Bauhaus-Erbe in unserer Kollektion niemals aufgeben, genauso wenig, wie wir unser Bugholz-Erbe vernachlässigen. Beides sind Meilensteine unserer Firmengeschichte. Wir möchten unser Erbe pflegen und gleichzeitig auch neue Produkte verkaufen. Beides gehört zu unserer Identität. Gerade in den letzten Jahren haben wir viel mit den Stahlrohrklassikern gemacht und mit neuen Ausführungen experimentiert: Für unsere „Pure Materials“-Reihe haben wir besondere Hölzer ausgewählt, die geölt werden. Holzarmlehnen mit geöltem und nicht lackiertem Holz sind haptisch besonders schön. Für Breuers Freischwinger haben wir auch beim Leder für die gepolsterte Ausführung etwas Besonderes ausgesucht. Für diese verwenden wir ganz spezielle, griffige und sehr hochwertige Leder. Auch mit Farben haben wir experimentiert, wie schon erwähnt. Außerdem haben wir aus der Stahlmöbelkollektion eine Outdoorserie entwickelt – die Kollektion Thonet All Seasons. Dank der speziellen Oberflächenbehandlung und mit einer anschließenden Pulverbeschichtung kann man die Produkte dieser Kollektion draußen sowie drinnen benutzen. Wir versuchen also immer, die Klassiker lebendig zu halten.

Lieber Herr Thonet, vielen Dank für das informative und interessante Interview!

  

VERLOSUNG: Gewinne einen Bauhaus-Stuhl-Klassiker

  

Hast du Lust auch bald auf einem Thonet-Klassiker zu sitzen? Dann gewinne jetzt einen S 43 mit schwarzer Sitzfläche und verchromtem Gestell von Thonet. Verrate uns einfach in deinem Kommentar, was den Bauhausstil für dich ausmacht – und schon wanderst du in den Lostopf: Wie immer gelten die Allgemeinen Teilnahmebedingungen. Teilnahmeschluss ist Sonntag, der 02.12.2018, 23:59 Uhr. Viel Glück!

  

Mehr zur Geschichte von Thonet, ihren Möbeln und ihrem Umgang mit dem Thema Nachhaltigkeit erfährst du hier.

Dieses Interview ist im Rahmen einer Pressereise entstanden.



Über die Autorin: Die in Berlin lebende Journalistin Jessica Jungbauer schrieb schon während ihres Studiums regelmäßig für den Lifestyle-Blog „Stil in Berlin“. Nach Stationen bei ZEITmagazin ONLINE und Spiegel Online war sie auch als Redakteurin im preisgekrönten Online-Magazin iGNANT tätig. Dort verfasste sie täglich neue Inhalte zu den Themen Kunst, Design, Architektur und Fotografie. Jessicas Artikel, Städteguides und Porträts erschienen bereits in unterschiedlichen deutschen sowie internationalen Publikationen.

Kommentare (208)

alle Kommentare anzeigen

Das könnte dich auch interessieren

Einrichtungstrends 2024
9 Produktneuheiten von MAGAZIN, die ihr kennen solltet + Verlosung
Sebastian
46 76
Einrichtungstrends 2023
Von leiser Nostalgie und warmer Geborgenheit: Die Herbstneuheiten 2023 von ferm LIVING, Broste Copenhagen & Co.
Claudia H.
64 9
Einrichtungstrends
Frisch aufgeblüht: Eure 17 Lieblingsvasen für den Frühling 2023
Claudia H.
109 15
Einrichtungstrends 2022
Licht an! Die 5 spannendsten Leuchtenneuheiten von HAY
Sebastian
21 1
Einrichtungstrends 2022
Auf welche Möbelneuheiten von HAY wir uns diesen Herbst freuen
Sebastian
45 2
Einrichtungstrends 2022
Blau, organisch und grafisch: Das sind unsere Top-Interior-Neuheiten von ferm LIVING
Sebastian
43
Einrichtungstrends 2022
Für Fernwehgeplagte: 11 tolle Sommerneuheiten von Bloomingville
Claudia H.
59 11
Einrichtungstrends 2022
HAY, ferm LIVING, House Doctor & Co.: Die beliebtesten Outdoorneuheiten 2022
Claudia H.
47 2
Einrichtungstrends 2022
Das sind die spannendsten Neuheiten von beliebten Labels wie HAY, Muuto oder ferm LIVING
Sebastian
94 8
Einrichtungstrends
Pechschwarz trifft Schneeweiß: Winterliche Dekoneuheiten in spannenden Nuancen
Claudia H.
88 11
Einrichtungstrends
Von Farbenspielen und sanfter Nostalgie: Herbstliche Interior-Neuheiten von MENU, Madam Stoltz & Co.
Claudia H.
61 9
Einrichtungstrends
Von Boho-Blumen und warmen Erdtönen: Das sind die Herbstfarben 2021
Claudia H.
81 11
["send","event","Errors","Ajax",0,56,{"nonInteraction":true},null]